Wer wird Algensommelier?

Nori, Wakame, Dulse – Algen werden längst nicht nur als essbares Packpapier von Sushirollen akzeptiert. Sie könnten mittel- bis langfristig ernährungsphysiologisch wichtig werden. Lebensmittelmagazin.de war auf einem IHK-Lehrgang und trifft alte Bekannte.

„Hafermilch solltest du auf jeden Fall parat haben, darauf stehen so Algentypen”, haut Manfred Hippeli gegenüber der freundlichen Kellnerin des Rooftop Restaurants Highkitchen als Klischeekeule raus, während er die Wakame für seine Semmelknödel mit Pfifferlingen kleinschnippelt. Das Lästermaul und Koch in den besten Jahren gehört nämlich selber zu diesen „Algentypen”, die sich in Magdeburg zum Lehrgang Algensommelier der Industrie- und Handelskammer (IHK) Sachsen-Anhalt treffen. Christian Jahr von der IHK Bildungsakademie Magdeburg freut sich: „Die Teilnehmer sind beileibe nicht alle Gastronome, sondern haben ganz unterschiedliche Backgrounds und Intentionen, sich das Wissen über Algen anzueignen.”

Alge "Meerestraube"
Umibudo (dt.: Meerestraube) ist eine Grünalge.
Foto: Johannes – Lebensmittelmagazin.de

Unterricht beim Algentriumvirat

Unterrichtet werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Küchenchef Oliver Skoluda, zuständig für die Kulinarik. Für Fragen des Anbaus sowie der Verarbeitung stehen alte Bekannte, Kirstin Knufmann und Jörg Ullmann, mit ihrer Expertise zur Verfügung. Auf einem Tisch an der Wand stehen Schüsseln mit vielen unterschiedlichen Algen. Neben Algen, wie Wakame, Kombu, Nori oder Dulse findet man auch eherunbekannte Algen, wie das Samthorn oder Meerestrauben. Letztere gab es bereits auf dem Linsensalat beim Nachhaltigkeits-Festival in Potsdam. Sie sehen hübsch aus und zerplatzen so schön beim draufbeißen. Dass Algen grundsätzlich mehr sind als nur der letzte Schrei in der Veganerbubble, kann der Fachmann Jörg Ullmann darlegen: „Wir leben in einem Jodmangelgebiet. Durch Zufütterung in der Tiernahrung werden 40 Prozent des Bedarfs durch Milchprodukte, weitere 40 Prozent durch jodiertes Speisesalz und die restlichen 20 Prozent sollen durch Fisch gedeckt werden. Die Empfehlung dazu lautet zweimal pro Woche Seefisch auf dem Speiseplan zu haben. Wer isst schon zweimal pro Woche Fisch? Insgesamt ist der Verzehr davon rückläufig, und wie sollte dieses Defizit gedeckt werden, wenn nicht beispielsweise durch Algen?“

Die Dosis macht‘s

Ein wichtiges Detail gilt es aber zu beachten: „viel hilft viel“ gilt, anders als bei anderen Nährstoffen wie Vitaminen oder Mineralien, nicht für Jod, das bei einer Überdosierung für Unruhe, Nervosität und ähnliches sorgen kann. Dabei ist es so, dass selbst innerhalb der EU unterschiedliche Werte bezüglich Jod gelten. Während das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) getrocknete Algen mit einem Jodgehalt von 20 mg/kg für nicht mehr verkehrsfähig hält, liegt dieser Wert in Frankreich bei 2.000 mg/kg – immerhin liegt der Faktor 100 dazwischen! Angesichts der Menge an Algen, die beispielsweise in Japan verzehrt wird, stellt sich die Frage, woher diese Werte überhaupt stammen. Zusätzliches Problem ist, dass der Jodgehalt nicht nur unter den verschiedenen Algen variiert, sondern selbst innerhalb der jeweiligen Algenarten je nach Charge schwanken kann. Der sensible Umgang mit dem Thema, inklusive hinreichender Expertise, wird wohl definitiv prüfungsrelevant sein. Kirstin Knufmann macht zusätzlich noch darauf aufmerksam, dass abgesehen vom Jod, die unterschiedlichen Algen noch breite Vielfalt in sonstigen Nährstoffen aufweisen, beispielsweise Chlorella als B12-Quelle und Omega 3-Fettsäuren aus Schizochytrium. Passend zum Thema hat das Paar gerade das Buch „Gesund mit Algen“ veröffentlicht.

Eine der Teilnehmerinnen, Hanna Koglin, hat einen Onlineshop für Algen übernommen und möchte sich jetzt aufgrund der Rückfragen der Kundinnen und Kunden im Rahmen der IHK-Ausbildung optimal dafür vorbereiten, weil beispielsweise Fragen zum Jodgehalt und dem Umgang damit regelmäßig auftauchen. Auch die Frage, wie man diese beispielsweise in der Küche verwenden kann, taucht auf. Dementsprechend wertvoll ist für sie die Kocherfahrungen mit dem Küchenchef Skoluda, zumal ein Teil der Prüfung am folgenden Tag, die Zubereitung eines selbstentwickelten Rezepts mit Algen ist.

Auberginenburger
Kross angebratene Dulse auf einem Auberginen-Burger.
Foto: Johannes – Lebensmittelmagazin.de

Gisele sei Dank

Eine Sache muss man bedenken, auch wenn dies garantiert nicht für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zutrifft: Für viele Menschen kosten Algen im Essen Überwindung. Dazu meint der Algenpapst Ullmann: „Dabei stecken Algen als Zusatzstoff in 70 Prozent aller verarbeiteten Lebensmittel. Zugegeben, da sieht man sie nicht. Auf der anderen Seite konnte nachgewiesen werden, dass nicht nur überall auf der Welt Algen seit mindestens 14.000 Jahren gegessen werden, sondern auch in Europa bereits seit der Mittelsteinzeit. Mit dem Ende der vorangegangenen Kaltzeit mussten die Menschen auf aquatische Ressourcen wie Fisch, Muscheln oder Algen ausweichen, nachdem Kältesteppen verwaldeten. Selbst die Besiedlung des amerikanischen Kontinents fand über die Küsten statt auf dem sogenannten Kelp (Anmerkung: Meeresalgen)-Highway.” Kirstin Knufmann sieht die aktuelle Entwicklung positiver: „Inzwischen findet man den Wakamesalat und die Spirulina-Smoothies in der Kühlung im Supermarkt – Supermodel Gisele Bündchens Diäthype sei Dank“. Die Empfehlung der Algenexperten lautet, sich peu à peu den Algen zu nähern, erstmal eine Prise Algenmix über den Salat zu streuen, was weder groß herauszuschmecken, noch optisch störend, wäre.

Beim Kochen sind die Teilnehmenden wesentlich experimentierfreudiger. Küchenchef Skoluda kreiert aus marinierter Wassermelone eine vegane Imitation vom Thunfischsashimi, das neben Zutaten wie Sojasauce, Ingwer auch Wakame enthält, um der süßen Frucht jodrauchigen Meeresgeschmack zu verleihen. Dazu improvisiert Küchen-Nachwuchshoffnung Leonard Swoboda, im zweiten bzw. vorgezogenen dritten Lehrjahr bei Tim Raue, spontan einen hervorragend zum Melonentuna passenden Thaisalat aus Kürbis und allem, was er so in der Küche finden konnte.

Algen als Alleskönner

Abgesehen von der Nährstoffversorgung, haben Algen unglaubliches Potenzial als Umamibombe. Das ist beispielsweise für Teilnehmerin Linda Rustemeier relevant, die aufgrund einer Allergie auf Eier und Sojaprodukte verzichten muss und mit der Dulse, heimisch in den kalten Gewässern von Großbritannien, einen runden, nach Speck schmeckenden Ersatz gefunden hat. Diese kam kross angebraten bei einem Auberginen-Burger zum Einsatz. Apropos Aubergine: Ganz besonders köstlich war ein veganer Auberginenmatjes, sauer eingelegt, aber zusätzlich mit Algen. Als Heringsstipp nach Hausfrauenart machte sich das von Natur aus geschmacksneutrale, eher labberige Gemüse, hervorragend.

Mit der Hilfe vom Knorpeltang, bekannt als Zusatzstoff Karrageen, entwickelte Koch Hippeli einen Gemüsepudding, den er mit der geleebildenden Alge abgebunden hat, dekoriert mit Granatapfelkernen als pinken Sprenkeln in der Masse, die Konsistenz war zwar etwas glibberiger, aber bot eine hervorragende Alternative zu Gelatine.

In ähnliche Richtung, aber mehr auf den Spuren der Molekularküche von Ferran Adriá, waren die Experimente aus Alginat, Kalzium und allerlei bunten Likören um Kaviarperlen für Cocktails zu kreieren. Das Ganze sah sehr hübsch aus, mit orangem Aperol und blauem Curacao, geschmacklich ging dabei aber viel unter. Da war der mit Chlorella angesetzte, tiefgrüne Wodka aromatisch etwas spannender.

Algen als Versorgungslösung?

Einen der spannendsten Gründe an dem Kurs teilzunehmen, hatte der Wiener Mario Reiter. Einerseits interessiert er sich privat kulinarisch für das Thema, andererseits hat er eine größere Vision, denn seine Frau stammt aus Honduras. Dazu erzählt er: „Abseits der touristischen Zentren, besonders im Landesinnern, sind vor allem die Kinder mangelernährt. Vielleicht besteht die Möglichkeit über eine eigenständige Algenzucht vor Ort, dieser Herausforderung Herr zu werden. Dazu muss ich mich aber vorab umfassend informieren. Bislang spielen Algen in der Küche Honduras keine Rolle“.

Trotz des köstlichen Mittagessens sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer etwas aufgeregt wegen der Prüfung am kommenden Tag. Mit einem Multiple-Choice-Test, der eigenen Kreation in der Küche und einem zusätzlichen Test in Algenkunde, werden sie dann zum IHK-zertifizierten Algen-Sommelier, mit dessen Expertise sie hinterher die verschiedensten Felder bereichern.

Der nächste Kurs startet übrigens am 28. April 2025 und ist ab sofort buchbar unter https://www.ihk-bildungsakademie-md.de/bildungsangebote/details/neu-algensommelier-ihk.6715.html.

Artikel-Teaserbild (oben): IHK Bildungsakademie Magdeburg GmbH